DOKUNST
DOKUNST 

Gmh?, machte der Wal 2012

 

Ich merke wohl, du willst mich gewinnen. Ich weiß nur noch nicht genau: wofür?“

 

Schreibst du auch Gedichte?“ Naiv wie sie war, glaubte sie ihm alles. „Ja.“ „Auch mit Wortneuschöpfungen?“ „Ja.“ „Mmh...“ Sie traute sich noch nicht, neugierig auf ihn zu sein. Die Musik der Studenten-WG-Party spielte mit dem Wind der Sommernacht um den Vorzug. Was war das?: „Smells like teen spirit“ von Nirvana? –Auch tot. Viele schon tot in jungen Jahren...Aber das gehört hier nicht hin, oder?

 

`Wenn man in dem Moment wenigstens die Hand seines Geliebten hält, oder zuvor all die Jahre, etwas zurücklässt, wenn auch nicht mal ein Kind oder eine patentierte Erfindung. Spuren...-Nirvana: Wie wurde dieser Begriff in esoterisch oder buddhistisch angehauchten Kreisen breitgetreten. War in aller Munde als sei man höchstpersönlich Gott oder Woodstock begegnet. Wo da der Unterschied noch ist? Woodstock als personifizierte Erleuchtungsspur wie Koks zu genießen. Naja, so in etwa.

 

Sie trafen sich wieder in einem Café. Sonntags früh. Sie hatte zwei Stunden gewartet. Er kam .

Sie diskutierten im Rotlicht Nächte lang über Gott und die Welt, hörten Mike Oldfields „Ommadawn“ , Pink Floyds „Shine on you crazy diamond“ und 70er Jahre-Hymnen von Julie Driscoll usw. Heiter war das nicht. Nein, das nicht. Aber wer hätte das auch erwartet? Obgleich verschlungen mit ihm, eine leise Angst, ihn nur zu brauchen, nicht wirklich an seinem Nabel zu sein, doch hatte sie seinen Kopf an ihrer Brust. Sie liebten sich leidenschaftlich bis der Morgen graute. Nur, dass es ihr nie genügte. Selbst dann nicht, wenn sie erfüllt davon war. Es war ihr so, als müsse sie über alle Wellen streichen, jede schmiegsam in ihre Hand sich fühlen lassen. Es blieb die unerfüllte Ahnung. Als müsse sie einen Stern gebären. Das schon geborene Kind werden.

 

Und doch manchmal so high von der Liebeshitze, dass sie sich nichts Köstlicheres vorstellen konnte, als nackt auf dem Balkon Tee zu trinken. Sie wusste nicht, woher sie kam und wohin sie ging. (In Wirklichkeit war es ein Burger von Mc Donalds der Sorte Pfeffer – Käse, den sie – auch nackt - in seinem Kellerzimmer stahl und genüsslich hungrig vertilgte und sie kam aus seinem Bett und ging wieder in dasselbe...)

 

Er studierte und konnte sich nicht entscheiden. Wollte nicht? Nein. Konnte nicht. Seine alte Lederjacke roch gut. Und seine Augen strahlten, wenn auch dunkel umschattet. Er war da. DA. Wach. Wer ist das schon? Wenn er hinter ihr stand, um ihr näher zu sein, ohne ihr dabei zu nahe zu kommen, lag darin so viel Zärtlichkeit, dass sie es im Rücken spürte. Und dieses Jugendliche hatte er, dass er sich ihr in den Weg stellte, nur um zu sehen, wie und ob sie ihn bäte, zur Seite zu gehen.

Sie sah eine edle Stirn, edle Züge an ihm. Es war die Sisyphos - Arbeit in der Suche nach dem rechten Licht, bei der der Stein der Worte sie immer wieder traf. Sie wollte dieses achtungsvolle Sehen schützend legen über das Sein der Dinge, dass sie nicht mehr an es rührte oder in Worten habbar machte und im Keim verdinglichte.

 

Und sie gehörte zu ihm! So frei und gebunden, dass sie glücklich war, ihre Jacke nicht anziehen zu brauchen. Sie buken Auberginen im Teigmantel und tranken Roséwein und das Leben war herrlich. Die Hetzjagd in ihr sollte endlich ein Ende nehmen. Das Leben sollte Ruhe geben mit aller Achtung.

Sie war sich selbst so unberechenbar, dass nur seine Berührung sie zusammenfügen konnte. Angst in einem Spiegelhaus.

 

Und nun schwebten Vögel ihr entgegen. Sie begriff nicht, was es war. Wer konnte sie so wachhalten und erwidern? In wessen Augen konnte sie das finden?!

 

So der bodenständigen Normalität zugewandt, dass sie sogar Lust hatte, fernzusehen. Irgendwas. Begreifen, dass Alltägliches bzw. Normalität ihr die Freiheit nicht raubten, nicht durch Zweidimensionalität ihren Wildwuchs töten konnten, sondern sogar schützt.

Die Sonnenstrahlen quälten seine Augen regelrecht, so selten ging er raus. „Die Luftgängerin“ von Robert Schneider lieh sie ihm mit ein paar selbst geschriebenen Sätzen: Ich berühre mich in Dunkelheit. Die Augen eines Huskys aus schmerzgrundigem Rot heraus, aus roten Sandsteinstalagmiten schauen mich an. Flüssige Spuren lösen Festes, Onyx berührt von Rinnsalen. Dort liegst du und ich blicke dich an mit dem, was ich bin. Deine Augen geschlossen, umgeben von muschelförmigem Elfenbein, aus einem dünnen Netz dem Erdboden entwachsen. Es ist kein Regen gefallen. Er gab ihr den Zettel zurück mit den Worten, er verstehe sie nicht. Das Buch musste sie sich förmlich stehlen, obgleich er es nicht mal gelesen hatte. Sie hing daran mehr als an ihrer Unversehrtheit.

Irgendwann war der Notarzt da. Sie hatte das blanke Grauen, eine Urform des Bösen gesehen, es hatte Besitz ergriffen von ihrem Willen und ihrer hellen Sonne, er beruhigte sie, versuchte es, fühlte es plötzlich auch: eine Präsenz von etwas wie Entsetzen, wie von Tierkadavern. Wie die Angst des Kindes, in die Kellergewölbe hinabzusteigen, die Angst vor dem Vergessenen, Verlassenen, Verlorenen, Unausgesprochenen, das sich in der Stille zu offenbaren droht, schon in der Ahnung erstickend nahe rückt, lautlose, anschwellende Töne, die im Augenblick des sinnlichen Lichts wie Muränenköpfe vom Dunkel ihrer Schlupflöcher verschluckt werden. Der Totentanz unserer Gesichter, das Gelächter unseres Wissens, das Gift der Schlange, die uns gebar.

 

Du, ich kann nicht mehr, ich will auch nicht mehr. Ich fühle mich wie in Rilkes Gedicht Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Ich habe schon alles gesehen und die Sprache der Raben ist mir zugleich vertraut und beklemmend. Ich weiß nun alles über mich. Wie könnte ich da jemals wieder schwimmen im Leben?“ „Ja, ich weiß. Du wirst nicht mehr schwimmen, aber manchmal schmilzt so ein Eisberg auch und treibt Richtung Süden in wärmere Gewässer und vielleicht kommt irgendwann ein Schiff vorbei und nimmt dich mit.“

 

Und das Schiff steht jetzt als Souvenir von ihm bei ihnen im Regal, und das Schiff schläft jede Nacht in ihrem Bett, und das Schiff ist jeder ihrer Tage, die sie mit dem Wasser des Lebens füllt.

Und das Schiff ist auch, dass er in der Bahn später als sie zur Tür geht, sich aufregt, dass sie früher durch will und sie sich zu sagen traut in vollem Bewusstsein ihrer Liebe: „Jetzt scheiß mich doch nicht wieder an!“

 

Sie stritten. Um Tomaten, Gurken, Fußball, ob man morgens oder abends spült, was der kürzeste Weg nach Hause ist…

Die Griechen hatten Recht: nicht Hass, sondern Liebe war die chaotischste Kraft im Universum.

 

Das Schiff bekam Löcher. Schweißnass geträumt, er liebe sie nicht mehr wirklich. „Alles erledigt.“: murmelte er im Schlaf. Immer wieder ging es um praktische Erledigungen, sobald sie sich wieder versöhnt hatten. Er ignorierte Absperrungen und Warnschilder, träumte sie. Als ein Fels drohte, auf ihn zu stürzen, musste sie ihn wegziehen, um ihm das Leben zu retten, da er stur auf ihre Rufe nicht hörte.

Du überdeckst alles, was zuvor war, mit deiner Stimmung, wenn du nach Hause kommst.“ „Ja, du machst immer wieder deutlich, dass ich ein Fremder in eurem Rudel bin.- Und das ist ja auch richtig so.“ Nichts ging über die Liebe zu ihrem Kind. Dafür hätte sie alles, aber auch alles auf´s Spiel gesetzt. Es war zuerst da und es war wie sie. Als die Schlammlawinen heranrollten, waren es Fotos von ihrem Kind, die sie als einziges aus der Wohnung mitnahm. Mit dem Schiff hatten sie eigentlich eine gemeinsame Reise unternehmen wollen.

Doch die Wellen schlugen höher und bedrohten ihr Leben. Er ging über Bord, eine Haifischrückenflosse durchtrennte sein Rückgrat. Sie schwamm weiter durchs offene Meer. Irgendwann am Ufer glitt ein Schwertwal unter ihr geräuschlos, schwerelos, mächtig. „Darf ich dich küssen?“ fragte sie. Der Wal machte ein lächelndes Gmh? War er das?

Magst Du Fleisch?

 

 

...und als die Wellen näher kamen, hielt sie sich an einem Laternenpfahl fest und...alles ging vorüber. Klatschnass aber erleichtert setzte sie sich hinter das Haus auf eine Bank, blickte Richtung Küste. Geschafft.

Sie nahm die Stufen zu ihrer Wohnung ein wenig beschwipst und müde in den Beinen. Die Tür war von den Fluten wohl aufgerissen worden, da glitten getrost alte Fotos mit dem letzten Schwapp die Treppe hinunter, drehten sich um ihre Füße noch einmal zwinkernd herum und...weg waren sie. Euch behalt ich sowieso sah sie den Augenpaaren nach, ging dann aber leichten Herzens weiter.

Sie hörte ein schweres Schnaufen. Dann ein Knarren, daraufhin ein Klirren. Es kam aus dem vorderen Raum zur Seeseite hin. „Oh.“ Das Fenster war kaputt und inmitten des Raumes lag ein tief atmender großer-sehr großer- mit wunderschönen Augen gesegneter, mit einer unbeschreiblich weichen Haut in den Kosmos gezauberter...Schwertwal. „Oh.“ Sie wurde rot am ganzen Körper.

Was machst du denn hier?“

Natürlich ließ sie die Männer von der Küstenwache, vom Zoo, von was weiß ich woher kommen, um dem armen Wal wieder ins Meer zu verhelfen. Er war schon reichlich ausgetrocknet, obwohl sie ihn liebevoll stets und stetig mit Wasser abwusch. Sie sorgte sich.

Das Schauspiel der Fesselung und das Ganze wollte sie nicht hautnah miterleben, also ging sie hinters Haus und ließ die Männer ihre Arbeit tun.

Einen etwas verwirrten Eindruck machte der Mann, der nach einer viertel Stunde wieder runter kam: „Tut mir leid, aber... wir konnten nichts tun...“

Eindringlich, als wollte er ihr noch mehr sagen, blickte er ihr in die Augen. Die Übrigen kamen herunter und liefen verschämt ihres Weges davon, der eine oder andere noch kurz und unbeholfen grüßend, aber... Es schien aus und keiner hatte den Mut, bei ihr zu bleiben...

Traurig und entmutigt ging sie die Treppe ein zweites Mal nach der Katastrophe hinauf. Eigentlich hatte sie angenommen... Da stand inmitten des Raumes ein großer, mit wunderschönen Augen gesegneter, mit einer unbeschreiblich weichen Haut in den Kosmos gezauberter...Mann. Als er sie erblickte, wurde er am ganzen Körper rot, ein Schwall Wasser entglitt seinem Mund und riss das Stück Stoff, das über seiner Vorderflosse hing mit sich platschend auf den Boden. „Oh.“ Und er machte ein freundliches, fragendes Gmh?.

 

Äh, du hast bestimmt lang nichts gegessen...“ „Doch, doch...“ „Nein, soll ich dir was machen?“ „Nnein, schon gut.“ „Aber...“ „Ich hab so viel gegessen wie noch nie.“ „Mh?“ „Ja.“ „Was denn?“ „Na Fisch! Jede Menge Fisch und was mir sonst so vor den Schlund geriet.“ „Gmhgr...“ „War gar nicht so schlecht. Aber was wolltest du mir denn –machen?“ Er grinste sardonisch. „Zieh dir doch erstmal was an..hm..dann..äh..mach ich dir das Fleisch, was noch im Kühlschrank liegt.“ Sie lief in die Küche, klirrte und klackte herum... „Schatz? Komm zu mir!“ „Gmh?“ Sie stand an den Türrahmen gelehnt da und musste lachen. Erst da fiel ihm wieder ein, dass er nackt und vor allem gerade noch ein Schwertwal gewesen war. Er sah beschämt an sich herunter und nahm die erstbeste Decke, die ihm in die Hände fiel, um sich ungeschickt damit zu bedecken. „Na?“ kam sie näher. „Doch ein Stück Fleisch?“ „Oh ja!“ Kuss. Inniger Kuss folgte. Leidenschaftlicher, nicht endender Kuss, ab ins Bett , schnell, ...herrlich! „Ich lieb dich so.“ seufzte sie. „Ach ja? Seit wann denn? Das hast du noch nie so zu mir gesagt.“ „Doch, hab ich. Aber du hast mich nicht gehört.“

 

 

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